Moldawien, Norden

 

„Wunderschön aber sehr arm.“ So drückte es ein Freund aus, dem ich schrieb, wir seien in Moldawien. Sein letzter Besuch mag einige Zeit her sein, dennoch gilt Moldawien als eines der ärmsten Länder Europas.

 

Aufgrund der hohen Arbeitslosenquote lebt ein Viertel der Bevölkerung im Ausland als Arbeitsmigranten. Es bleiben Kinder und Alte zurück, so heißt es. Vor einiger Zeit las ich einen Artikel über die „vergessenen Kinder“ Moldawiens. Es wurde der Eindruck vermittelt, als gebe es in diesem kleinen Land zwischen Rumänien und der Ukraine ganze Dörfer, in denen scharenweise Kinder auf sich allein gestellt zurückgelassen wurden.

 

Und nun reisen wir selbst durch dieses Miniaturwunderland Europas. Was wir sehen, wenn wir durch die Dörfer und die kleinen Städte fahren, erinnert uns oft an Rumänien. Die kleinen bunten Häuser, die farbenprächtig blühenden Vorgärten, die Hirten mit ihren Kühen, Schafen und Ziegen auf den Wiesen.

 

Ja, Moldawien ist sicher auch ein Land, in dem Menschen in ärmeren Verhältnissen leben, als sich das mancher unter der Käseglocke Deutschland vorstellen kann. Vor allem scheint hier aber die Schere zwischen arm und reich noch deutlicher weiter auseinander zu klaffen. Manch einer verdient sich sein Geld, in dem er am Straßenrand aus einem rostigen Auto heraus Melonen verkauft. Und manch anderer fährt im schnellen Porsche zu seiner schicken Villa im Speckgürtel der Hauptstadt Chisinau.

 

Genau dort, am Rande der Hauptstadt soll nun auch dieser Reisefortsetzungsbericht starten. Zu Sowjetzeiten noch begann man hier bei Danceni ein Hochhaus zu bauen. Eine wissenschaftliche Stätte rund um den Weinanbau sollte es werden. Mit einem Restaurant ganz oben, wo man während einer Verkostung den Blick über die Weingegend und die Hauptstadt hätte schweifen lassen können. Der nie fertiggestellte Rohbau ist 77 Meter hoch und ragt weit in den Himmel hinauf. Schon aus der Ferne ist er von überall zu sehen.

 

Heute handelt es sich um einen sogenannten Lost Place. Da der Ort weder abgesperrt noch zerstört wurde, kann man hinein und hinauf. Beim Gang durch das viele Stockwerke zählende, dunkle Treppenhaus war mir schon bei jedem Tritt etwas mulmig, denn ich ahnte noch nicht, was sich sonst hier abspielt.

 

Hätte ich gewusst, dass sich regelmäßig einige „Irre“ am Seil von diesem Hochhaus stürzen, dann wäre ich wohl beruhigter aufgestiegen. Roofjumper nennen sie sich. Ein Sprung kostet wohl 300 Lei (15 Euro).

 

Vom Winzerturm ging es weiter zum Kloster Bursuc über die E581. Das Kloster selbst wird von Nonnen bewohnt und besteht zu großen Teilen aus Neubauten, die etwas zu groß geraten im Wald herumstehen. Es gibt hier drei potentielle Parkplätze. Am Kloster war zu viel Trubel, beim zweiten war die Zufahrt zu eng für die Olga. Also wählten wir den dritten Platz am Dorfausgang und hatten so die große Freude einigen Einheimischen zu begegnen, die dort, schon leicht angetrunken, einige schwere Äste aus einem Bachbett entfernten. Den angebotenen Wein aus der Plastikbierflasche trank ich, obwohl ich sonst keinen Wein mag, um nicht unhöflich zu sein. Er schmeckte sehr nach Essig.

 

Nachts startete dann die örtliche Jugendgruppe des Mopedvereins noch ein Wettrennen auf der guten Straße zum Kloster. Es kann eben nicht jeder Schlafplatz ein Volltreffer sein. Das wissen wir eigentlich auch und sind doch trotzdem kurz genervt. Was als beste Lösung dafür gilt, ist ein schneller Aufbruch am nächsten Morgen.

 

Über Calarasi ging es für uns auf die M14. Die Straßen in Moldawien sind meistens so gut ausgebaut, dass es uns immer wieder überrascht, wie schnell wir vorankommen. Wir entscheiden uns für einen „langen Ritt“, kaufen in Balti (gesprochen: Balz) bei Linella ein und landen am Abend bei Gordinesti.

 

Hier gibt es zwei Sehenswürdigkeiten. Zum Einen hat sich über jahrtausende ein kleiner Bach in die Landschaft gegraben. Entstanden ist ein kleines Tal mit steilen Hängen. Das Gestein in den entstandenen Hügeln wurde wiederum an mehreren Stellen in Steinbrüchen abgebaut. Einige davon stehen leer und können betreten werden. Nach einer „schiefen“ Nacht wechseln wir nochmals den Platz und finden wenige Kilometer entfernt an einem Feldweg eine kleine Wiese zum parken und im angrenzenden Steinbruch ein optimales Gelände zum Laufen für die Hunde.

 

Noch im Morgengrauen bringen einige Leute aus dem nahegelegenen Dorf ihre Kühe auf dem Feldweg zum Grasen. Die Kühe werden dort angebunden und die Menschen gehen wieder heim. Mittags kommen alle nochmal zurück und setzen die Kühe um. Abends kehrt jeder ein letztes Mal wieder und sammelt seine zwei bis vier Kühe wieder ein und bringt sie nach Hause. Die Kühe rufen dann meist schon. Ein Junge in Badelatschen, der beim Kühe treiben auf seinem Smartphone Videos schaut. Eine Frau in Badelatschen, die von weitem erstmal unsere Hunde abcheckt. Ein Mann in Badelatschen auf einem Motorrad, bei dem ein Teppich als Sitzpolster dient. Eine ältere Frau mit Badelatschen und Kopftuch, die ihren Kühen erstmal die Kletten aus dem Fell liest. Alle laufen sie an uns vorbei, schauen neugierig, grüßen zurückhaltend und unsere Hunde, die am Auto angebunden im Schatten liegen, schauen zu.

 

Nach weiteren zwei Nächten fahren wir nach Edinet, um unsere Vorräte aufzufüllen. Nicht jede Kleinstadt ist sehenswert. Auf der Fahrt dorthin begegnet uns ein Trauerzug. Der offene Sarg wird im offenen Wagen über die Landstraße zum Friedhof gefahren. Die Trauergemeinde schreitet hinterher. Die Autos dahinter überholen nicht und die Autos im Gegenverkehr halten am Straßenrand an, bis der Trauerzug vorüber ist, so auch wir.

 

Aktuell sind wir am Stanca-Costesti-See, dem größten See Moldawiens, dier allerdings zur Hälfte schon auf rumänischer Seite liegt. Noch ist es warm bei 25 Grad und Sonnenschein. Auch hier wechseln wir nach einer Nacht nochmal den Platz, weil wir keine Kuschelangler mögen. Demnächst werden wir so ganz langsam wieder in den Süden rollen. Der Herbst kommt und wir wollen wieder am Schwarzen Meer sein.

 

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