Bulgarien

 

Während wir durch Bulgarien fahren, beschleicht uns immer wieder ein komisches Gefühl. Es kommt uns erstaunlicherweise so vor, als wären wir schon fast wieder zu Hause. Noch nicht am Ende dieser Reise aber doch schon wieder in Gefilden, die uns vertrauter vorkommen als andere auf dieser Tour. Nicht, weil wir schon einmal hier gewesen sind, sondern weil uns selbst all das Neue, was uns begegnet, so stark an etwa erinnert, was wir schon kennen.

 

Noch kurz vor der Grenze steht an den türkischen Straßenschildern „Bulgaristan“. Doch wir fahren nicht nach Osten. Im Gegenteil, da kommen wir gerade her. Vor sieben Monaten sind wir zuletzt in Bulgarien gewesen. Haben dann Griechenland, die Türkei, Georgien und Armenien bereist. In Georgien war es manchmal so wie in Rumänien und doch irgendwie anders. Vielleicht eher so, wie wir Rumänien noch von unseren ersten Trips dorthin in Erinnerung haben. Die Türkei und Armenien erinnerten uns schon weitaus weniger an Altbekanntes und das war ja auch der Reiz daran.

 

Nun also Bulgarien. Wenn wir wollen würden, dann wären wir in ein paar Tagen in Deutschland. Aber wir wollen gar nicht. Dieses Land hat uns bisher jedes Mal überrascht. Und was kann einem Reisenden schon besseres passieren? Dieses Land ist deutlich schöner, vielfältiger und spannender, als wir es erwartet hatten. Dazu kommt, dass der Mai eine hervorragende Jahreszeit zum Reisen darstellt. Alles grünt, die Farben in der Natur explodieren förmlich. Jeden Tag ist eine andere Blüte aufgegangen und alles wandelt sich ständig.

 

Der Strandzha-Naturpark ist einer der letzten Urwälder Europas. Hauptsächlich Buchen- und Eichenwälder so weit das Auge reicht. Ein 1.161 Quadratkilometer umfassendes Gebiet von der türkischen Grenze in Richtung Burgas an der Küste entlang und weit, weit ins Landesinnere.

 

Zwischen Tsarevo und Athopol liegt er schließlich, unser Traumplatz in Bulgarien. Direkt an der felsigen Küste, die ohnehin wenig befahrene Straße weit genug weg, dass sie keinen Lärm verursacht und um uns herum nur Wiesen und Felder. Ab und an wird die Küstenlinie von einigen kleinen Buchten unterbrochen, doch die Sommerbadegäste sind dort noch nicht angekommen. So verbringen wir mehrere ruhige Tage ungestört an diesem friedlichen Platz.

 

Erst am zweiten Tag fällt uns auf, dass in Sichtweite Delfine im Wasser schwimmen. Von da an beobachten wir sie jeden Tag fasziniert, davon, wie sie vor allem in den Morgen- und Abendstunden ihre Runden drehen, sich elegant aus dem Wasser heben. Wir können sie sogar Atmen hören und sind hin und weg. Eine kurze Recherche ergibt, dass es sich um Kleine Tümmler handelt. Und obwohl der komplette Uferbereich sehr mit Algen zugewachsen ist, haben wir uns trotzdem nicht abhalten lassen und können nun behaupten, wir wären mit Delfinen geschwommen. Wenn auch deutlich voneinander entfernt.

 

Obwohl wir uns bereits im nur 2 Kilometer entfernten nächsten Dorf in einem Magazin mit einigen Lebensmitteln eingedeckt hatten, geht es für uns doch irgendwann weiter. Wir verabschieden uns damit auch vorerst vom Schwarzen Meer und fahren über Burgas nach Shumen. Die Hitze hat nun Bulgarien endgültig erreicht. Nachts kühlt es glücklicherweise noch etwas ab.

 

Nach Shumen haben wir uns von einem Bild auf Instagram leiten lassen. Andere Reisende hatten dort gepostet, wie sie das Denkmal „Gründer des bulgarischen Staates“ besucht hatten. Und irgendwie sprach mich die Optik dieses Bauwerkes positiv an. Imposant auf einem Hügel über der Stadt Shumen gelegen, erinnert der Koloss an die Gründung und die Entwicklung des bulgarischen Staates beginnend vor über 1300 Jahren.

 

Während man von außen den Eindruck haben könnte, es handele sich bloß um einen weiteren Steinklotz mit Inschrift, wird man im Inneren wieder überrascht. Neben dem europaweit größten Freiluft-Triptychon-Mosaik, befinden sich hier auch mehrere überlebensgroße Figuren, die wie aus einem Marvel-Kinofilm entsprungen scheinen. Als hätte man die Transformers vor sich. Uns fasziniert vor allem, wie diese Figuren trotz all ihrer groben Massivität so freundlich wirken. Bereits 2017 hatten wir das Buzludzha-Monument in Buldarien besucht und in Shumen haben wir nun ein weiteres Denkmal der etwas anderen Art bestaunen können.

 

Die folgende Nacht verbringen wir am Ticha-Stausee. Am nächsten Morgen, einem Sonntag, wecken uns einige Angler, die an diesem Platz ihre Boote zu Wasser lassen und damit losschippern. Uns fällt auf, wie zurückhaltend und ruhig die Bulgaren dabei zu Werke gehen. Vor allem in der Türkei hätten mehrere Angler an einem Sonntagmorgen vermutlich für deutlich mehr Wirbel gesorgt.

 

Über Veliko Tarnovo und Vratsa geht es für uns weiter in Richtung Montana. Wir haben uns bewusst gegen die Autobahnstrecke nach Sofia entschieden und genießen die kleine, gut ausgebaute Landstraße. Der Verkehr ist erträglich und passende Übernachtungsplätze gibt es immer wieder. Und selbst der eher unscheinbare, vermüllte Platz nah an der Straße überrascht uns beim näheren Erkunden mit einer kleinen Quelle, an der wir Wasser abfüllen können. An einem anderen Tag entdecken wir einen kleinen Wasserfall, der für Abkühlung sorgt und kurz vor Montana übernachten wir am Fuße eines Soldatendenkmals, wo uns ein Hase empfängt, ein Igel besucht und wo wir das seltene Schauspiel eines Grashüpfers beobachten dürfen, der sich gerade häutet.

 

Schließlich schließt sich in Montana ein Kreis. Noch vor sieben Monaten sind wir von hier über den Petrohan-Pass nach Sofia gefahren und später weiter nach Griechenland. Heute kommen wir von Osten in die Stadt und haben eine Mission.

 

20.000 Kilometer stecken der Olga allein von dieser Tour in allen Teilen. Sie hat uns bisher tapfer und zuverlässig an jedes Ziel gebracht. In Montana bekommt sie neue Schuhe. Wir steuern per Zufall eine der Reifenservice-Werkstätten an, schildern per Handy-Übersetzer unser Anliegen und werden schnell handelseinig. Die Reifen werden bestellt, sind bereits am nächsten Tag geliefert und anderthalb Stunden später montiert. Für diese sechs neuen Reifen hätten wir in Deutschland einige hundert Euro mehr auf die Hand legen müssen.

 

Apropos auf die Hand. Nachdem wir also die Reifen bestellt und eine Nacht am Ogosta-Stausee bei Montana gepennt haben, sind wir pünktlich am nächsten Vormittag wieder an der Werkstatt. Der Mechaniker nimmt die Lewa-Scheine, die ich im gerade gereicht habe, steckt sie in die Tasche seiner Jogginghose, setzt sich in sein Auto und fährt weg. Eine Viertelstunde später kommt er zurück und hat die sechs Reifen im Kofferraum.

 

Es war natürlich abgesprochen, dass er mit dem Geld zum Lager des Kurierdienstes fährt und dort die Reifen abholt. Aber etwas ungewohnt ist es schon.

 

Nun fährt die Olga mit richtig schickem Profil durch die Lande und fühlt sich gleich mal einige Jahre jünger. Die erste Testfahrt führt uns gleich mal ins nicht weit entfernte Belgogradchik. Hier waren wir im letzten Jahr auch schon und weil es uns so gut gefallen hatte, wollen wir es jetzt nochmal im Frühling sehen. Die Stadt liegt umschlossen von 200 Felstürmen aus rotem Konglomeratgestein. Dieses ist dem Sandstein ähnlich, besteht aber aus Geröll oder Kiesgetein, das meist mit einem quarzhaltigem Bindemittel verbunden ist. Besonders schön sieht das Gestein aus, wenn die Morgen- oder Abendsonne es anleuchtet. Wir verbingen zwei Nächte an einem schattigen Platz, gehen ein bisschen unterhalb der Felsen wandern und versuchen gut mit der Hitze klar zu kommen.

 

Von Belgogradchik geht es dann für uns über die N1 nach Vidin und dort über die 3598 Meter lange Donaubrücke 2 nach Rumänien. Sie ist die längste Brücke über die Donau und verbindet zwei der ärmsten Regionen der EU miteinander, weshalb manche sie auch als „Brücke ins Nichts“ bezeichnen.

 

Davon kann für uns keine Rede sein. Tatsächlich lassen wir Bulgarien ungern hinter uns, freuen uns aber auch auf ein Wiedersehen mit Rumänien. Und von hier ist es ja jetzt nicht mehr weit, denken wir. So verschieben sich die inneren Grenzen, wenn man reist. Noch vor wenigen Jahren erschienen uns die rumänischen Karpaten als weit entferntes Reiseziel. Mittlerweile waren wir in Armenien. Und da ist nach Rumänien kommen ja wirklich fast schon wie nach Hause kommen.

 

 

 

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